Nein zum Nordischen Modell

15.01.21, 10:29
Anne Rossenbach

Der SkF e.V. Köln hat eine klare Haltung gegen die Freierbestrafung

Der Sozialdienst katholischer Frauen e.V. Köln (SkF e.V. Köln), dessen Vereinsgründung durch Marie Le Hanne Reichensperger im Jahr 1900, bereits auf die Prostituiertenhilfe zurückgeht, begrüßt den Antrag der Regierungskoalition aus CDU und FDP ausdrücklich, sich gegen die Einführung des sogenannten Nordischen Modells zu positionieren und stattdessen die bestehenden Beratungs- und Hilfestrukturen zu sichern und, wo nötig, auszubauen. 

1.         Hintergrund

Die Forderung nach der Einführung des Nordischen Modells wird in Deutschland begründet durch die Koppelung der Themen „Prostitution“ und „Zwangsprostitution“ bzw. „Menschenhandel“. Mit dieser Subsummierung und fehlenden Differenzierung wird sämtliches Prostitutionsgeschehen als Zwangshandlung an Frauen verstanden. 

Die Haltung, Prostitution sei von Zwang und Gewalthandeln nicht zu trennen, bestimmt schon seit Jahren einen Teil des politischen und gesellschaftlichen Diskurses in Deutschland und Europa und bildete so die Argumentationsgrundlage für die Implementierung des Nordischen Modells in europäischen Ländern. 

Schon 2006 initiierte die damalige finnische Ratspräsidentschaft eine Prostitutionsregelung analog zu der in Schwedens für alle EU-Staaten.

Am 26.02.2014 hat das Europäische Parlament mit der Annahme des sogenannten „Honeyball-Berichtes“ des Ausschusses für die Rechte der Frau und die Gleichstellung der Geschlechter ebenfalls eine entsprechende legislative und daher unverbindliche Empfehlung an die EU-Staaten abgegeben, ein Prostitutionsverbot nach dem „nordischen Vorbild“ (Bestrafung der Freier und nicht der Prostituierten) in der gesamten EU umzusetzen. 

Seither haben einige Länder, darunter auch Frankreich das Nordische Modell in nationales Recht umgesetzt.

Deutschland hat einen anderen Weg gewählt. Mit dem Prostituiertenschutzgesetz (ProstSchG), das 2017 in Kraft trat, hat sich Deutschland für die Beibehaltung der Legalität der Prostitution unter Errichtung hoher Genehmigungs- und Kontrollhürden für Prostituierte und Prostitutionsbetriebe entschieden. So müssen sich Prostituierte, wenn sie legal arbeiten wollen, einmal im Jahr gesundheitlich und sozial beraten lassen und alle zwei Jahre unter Angabe sämtlicher personenbezogener Daten ordnungsbehördlich anmelden. Bei jüngeren Frauen zwischen 18 und 21 Jahren ist die Anmeldung in jedem Jahr vorzunehmen. Die Anmeldung wird auf einem fälschungssicheren Ausweis, der bei der Arbeit mit sich zu führen ist, dokumentiert. 

Prostitutionsbetriebe müssen Konzepte zur Genehmigung vorlegen und mit anlasslosen polizei- und ordnungsbehördlichen Kontrollen rechnen. 

Gleichwohl lassen trotz der hohen Regelungsdichte des ProstSchG lassen die Forderungen nach Einführung des sogenannten Nordischen Modells bzw. nach einem Sexkaufverbot nicht nach. 

Selbst die Evaluation des ProstSchG, die spätestens im Juli 2025 mit einem Bericht an den Deutschen Bundestag erfolgen wird, soll nicht abgewartet werden, stattdessen wird mit Verweis auf die angeblich fehlende Wirkung des ProstSchG vehement in der öffentlichen und veröffentlichten Meinung die Einführung des Nordischen Modells gefordert. 

Dabei zeigt das ProstSchG bereits, wie unten ausgeführt wird, Wirkungen, die es in den kommenden Jahren weiter aus- und zu bewerten gilt.

 

2.         Zahlen und Fakten

Obwohl das ProstSchG bzw. das entsprechende Begleitgesetz die statistische Erhebung und Veröffentlichung der angemeldeten Prostituierten und genehmigten Prostitutionsstätten durch das Bundesamt für Statistik vorsieht, kann auch gegenwärtig nur geschätzt werden, wie viele Prostituierte tatsächlich unter welchen Bedingungen in Deutschland arbeiten. 

Zum 31.12.2019 wurden 40.369 gültig angemeldete Prostituierte gezählt, die von den einzelnen Bundesländern nach ProstSchG erfasst werden, davon waren 9.472 Prostituierte in NRW angemeldet[1]. 

Von den statistisch erfassten 40.369 Prostituierten hatten 7.724 die deutsche und 32.645 eine nichtdeutsche Staatsangehörigkeit. Von diesen wiederum stammten 29.836 Prostituierte aus Europa, wobei hier Staatsbürger*innen aus Rumänien mit 14.300 (35% aller angemeldeten Prostituierten) den größten Anteil hatten, gefolgt von 4.300 (11%) Menschen mit bulgarischer und 3.100 (8%) mit ungarischer Staatsangehörigkeit, nur 2.809 der angemeldeten Prostituierten stammten aus Afrika, Asien oder Amerika[2].

„Von den 40.400 angemeldeten Prostituierten waren 31.600 (78%) 21 bis 44 Jahre alt. 6.700 (17%) waren 45 Jahre oder älter und 2.100 (5%) waren zwischen 18 und 20 Jahren alt.“[3]

Nach zwei Jahren einer einigermaßen validen statischen Erhebung der Anmeldungen nach ProstSchG muss konstatiert werden, dass zwischen den Schätzungen zur Zahl der Prostituierten, die sowohl dem 2002 in Kraft getretenen Prostitutionsgesetz als auch dem ProstSchG zugrunde lagen und von 200.000 (Barbara Kavemann u.a.) bis zu mindestens 400.000 (Prostituiertenselbstorganisationen wie Hydra oder Alice Schwarzer) reichten und den tatsächlichen Anmeldezahlen eine erhebliche Lücke klafft. 

Ob diese Lücke darauf zurückzuführen ist, dass die in früheren Jahren immer wieder aufgeführten Zahlen viel zu hoch geschätzt waren oder die überwiegende Mehrheit der Prostituierten eine Anmeldung nach ProstSchG zu vermeiden versucht, kann gegenwärtig noch nicht beantwortet werden.

Eindeutiger, weil besser zu kontrollieren, ist die Datenlage bei den Prostitutionsstätten. Das Bundesamt für Statistik veröffentlichte 2019, dass in den einzelnen Bundesländern 2.167 gültige Erlaubnisse für Prostitutionsbetriebe erteilt wurden, wovon 348 auf NRW entfielen. Inwieweit die Wohnungsprostitution, die mit dem ProstSchG und der fortschreitenden Digitalisierung zugenommen zu haben scheint, dort bereits vollumfänglich erfasst ist, geht aus den vorliegenden Zahlen nicht hervor.

Bei aller Ungewissheit über die tatsächlichen Zahlen zur Prostitution in Deutschland, eines ist sicher: Das Prostitutionsgeschehen ist vielfältig – es reicht vom Stripteaselokal, über Internetportale, den luxuriösen Escort-Service, über Clubs, Bordelle und vieles andere mehr bis zum Straßenstrich in einem heruntergekommenen Wohnviertel oder einem Industriegebiet. Zudem sind die Grenzen fließend, weil Prostituierte je nach Nachfrage, Lebens- und Einkommenssituation ihre Anbahnungs- und Arbeitsorte wechseln. 

In der Wohnungsprostitution reicht das Spektrum von hochpreisig, exklusiv und selbstbestimmt angebotenen Dienstleistungen bis hin Beschaffungsprostitution in der eigenen Wohnung, weil in hochbelasteten Siedlungen sowohl Kunden als auch Dealer auf engem Raum zusammenleben und die Suchtfolgen das Anschaffen in einem geregelten System wie einem Bordell unmöglich machen.

In Wohnwagen arbeiten Frauen, die sich selbst als „Profifrauen“ wahrnehmen und solche, die von Zuhältern oder Familienangehörigen gezwungen werden, dort zu arbeiten. 

Die Frauen in der Straßenprostitution sind ebenfalls keineswegs eine homogene Gruppe. Auch hier gibt es von der Studentin, die sich Geld für den Unterhalt dazu verdient und die Kontrolle in einem Laufhaus oder Bordell scheut bis hin zur drogengebrauchenden Frau, für die die Prostitution die einzige Chance ist, ihr Leben und ihren Konsum zu finanzieren, alle Erscheinungsformen.

Kaum Erwähnung und Beachtung finden in der gesamten Diskussion um Prostitution und Zwangsprostitution und damit auch bei der Debatte um die Einführung des Nordischen Modells männliche Prostituierte oder LGBTQI.

Aktuell wird diese Fokussierung auf das weibliche Opfer in der Prostitution bei der politischen und medialen Beschäftigung mit der sogenannten Loverboy-Methode fortgeschrieben. Dabei ist diese Methode keineswegs neu, sondern nur neu gelabelt: Immer schon bestand die gängigste Strategie, Frauen für die Arbeit in der Prostitution zu gewinnen, darin, ihnen eine Liebesbeziehung vorzugaukeln. Die heutigen Loverboys hießen früher in Köln z.B. Schäfers Nas oder Dummse Thünn und sind bis heute bekannt.

 

3.         Es gibt einen Unterschied zwischen Prostitution und Zwangsprostitution bzw.    Menschenhandel 

Das Prostitutionsgesetz von 2002 und das ProstSchG aus dem Jahr 2017 richten sich an selbstbestimmt arbeitende Prostituierte. Mit der verpflichtenden Beratung und Anmeldung sowie der Genehmigungsversagung im Zweifelfall wurde im ProstSchG ein präventives Instrument geschaffen, um mögliche Zwangslagen zu erkennen und frühzeitig Hilfe zu vermitteln. Dazu wurde nicht zuletzt die Einschaltung von neutralen Sprachmittler*innen vorgesehen.

Von der selbstbestimmten Prostitution abzugrenzen sind Delikte wie Menschenhandel oder Zwangsprostitution. 

Im Oktober 2016 wurden die Straftatbestände des Menschenhandels (§§ 232 und 233 StGB) im deutschen Strafrecht neu gefasst und damit die Vorgaben der Richtlinie 2011/36/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 05.04.2011 zur Verhütung und Bekämpfung des Menschenhandels und zum Schutz seiner Opfer umgesetzt. 

Unter § 232a StGB wurde die Zwangsprostitution als eigener Straftatbestand aufgenommen. 

Auch die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung (§§ 174-184g StGB) sind in den letzten Jahren neu gesetzt worden und zum Teil in die Veränderung der §§ 232 und 233 StGB eingeflossen.

Wenn es um die strafrechtliche Sanktion von Zwangsprostitution, Menschenhandel oder auch Zwangsarbeit geht, besteht an dieser Stelle kein Rechtssetzungsdefizit, sondern ein Rechtsumsetzungsdefizit. 

Das Bundeskriminalamt führt dazu in seinem im Oktober 2020 veröffentlichten Bundeslagebild Menschenhandel[4] aus, dass Delikte rund um Menschenhandel nach wie vor Kontrolldelikte sind und selten eigeninitiativ durch eine Anzeige der Opfer ermittelt werden. 

Insgesamt bewegen sich in Deutschland die Ermittlungsverfahren zum Menschenhandel zur sexuellen Ausbeutung seit Jahren auf einem niedrigen Niveau und waren, wie dem Lagebild Menschenhandel des Bundeskriminalamtes zu entnehmen ist, 2019 weiter rückläufig.

In diesem Zusammenhang verweist das BKA auf das Prostituiertenschutzgesetz, das zu einem Rückgang der Verfahren geführt haben könnte. Regelmäßige Kontrollen von Prostitutionsstätten, die Verpflichtung ein Betriebskonzept vorzulegen und die Beratungspflicht von Prostituierten dürften danach „eine abschreckende Wirkung auf potenzielle Zuhälter und Menschenhändler entfalten“[5].

Gleichzeitig konstatiert das BKA, dass die Reglementierungen mit Anmeldepflicht unter Angabe sämtlicher personenbezogener Daten dazu geführt habe, dass „Teile des (illegalen) Prostitutionsgewerbes in abgeschottete und anonyme Bereiche (Internet, Hotel, Privatwohnung) verlagert wurden, die eine Verfolgung und Aufklärung von deliktsspezifischen Straftaten deutlich erschweren“[6]. 

Hinzu kommt die verstärkte Digitalisierung, die auch die Prostitution erreicht und dazu beiträgt, dass sich zumindest die Anbahnung ins Internet auf entsprechende Portale oder auf Dating-Plattformen verlagert.

Die Analyse des BKA bestätigt die These, dass ein transparent geregeltes Prostitutionsgeschehen weniger „anfällig“ für Menschenhandel und Zwangsprostitution ist und Prohibition zu einem Abdrängen in die Illegalität führt, die sich der Kontrolle entzieht.

Auch der Blick auf die Ermittlungsverfahren bestätigt die These, dass Opfer von Menschenhandel, die die Rechtslage kennen oder Beratungsstellen und Polizei ein Mindestmaß an Vertrauen entgegenbringen, leichter zu bewegen sein dürften, eine Anzeige zu machen oder sich mit Aussagen an einem Ermittlungsverfahren zu beteiligen.

„Im Jahr 2019 haben deutsche Polizeibehörden 287 Ermittlungsverfahren im Bereich des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung (§§ 232 ff. alt und neu; §§ 180 a, 181a StGB) abgeschlossen (2018: 356 Verfahren). Damit ist im Vergleich zum Vorjahr ein deutlicher Rückgang der Verfahrenszahl um 19,4% zu verzeichnen. 

Entgegen der rückläufigen Gesamtentwicklung hat sich die Anzahl der Ermittlungsverfahren, in denen ausschließlich deutsche Staatsangehörige Opfer des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung wurden, im Vergleich zum Vorjahr deutlich erhöht. In 29,3% der Ermittlungsverfahren (84 Verfahren) waren ausschließlich deutsche Opfer betroffen (2018: 66 Verfahren; 18,5%)“[7].

Laut Lagebild wurden „insgesamt 427 Opfer in den Verfahren des Menschenhandels zur sexuellen Ausbeutung festgestellt (…) Die Opfer waren wie im Vorjahr fast ausschließlich weiblich (405 Opfer; 94,8%). Hinsichtlich der Nationalitäten wurden am häufigsten deutsche Staatsangehörige (95 Opfer; 22,2%) ermittelt, gefolgt von thailändischen (90 Opfer; 21,1%) und rumänischen (72 Opfer; 16,9%) Staatsangehörigen“[8]. 

 

4.         Zur Bewertung des Nordischen Modells

Mit der Forderung nach Einführung des Nordischen Modells verbindet sich die Hoffnung, dass Prostitution als gesellschaftliche Realität aus der öffentlichen Wahrnehmung und dem öffentlichen Bewusstsein verschwinden möge. 

Selbst die Befürworter*innen des Nordischen Modells streiten nicht ab, dass Prostitution weiterhin stattfindet, sie hoffen vielmehr auf einen breiten Wandel der Gesellschaft, in der Prostitution stigmatisiert ist. Weil es sich in diesem Diskurs aber verbietet, die weiblichen Opfer zu stigmatisieren, muss sich der Blick auf das Prostitutionsgeschehen verengen.

In diesem Diskurs kommen Menschen, die in der Prostitution arbeiten, kaum zu Wort und falls doch, dann um als Aussteigerinnen oder „Überlebende“ die Opferperspektive zu untermauern und zu stärken. 

Die einzigen validen Daten und Fakten, auf deren Grundlage eine Diskussion des tatsächlichen Prostitutionsgeschehens möglich sind, sind die des Bundesamtes für Statistik zum Prostitutionsgeschehen oder das Lagebild Menschenhandel. 

Prostitution findet statt, weil Menschen diese Arbeit zu ihrem Beruf gemacht haben oder weil sie keine andere Möglichkeit sehen, ihren Lebensunterhalt vollständig oder teilweise auf eine andere Art zu bestreiten. Von daher können nur die Prostituierten selbst für sich die Grenzen zwischen Freiwilligkeit, Notwendigkeit und Zwang z.B. den, Geld für die Familie (im Herkunftsland), die Miete oder Drogen zu verdienen, definieren.

Die Befürworter*innen des Nordischen Modells argumentieren, wie oben ausgeführt, aus rein frauenpolitischer Sicht. Sie nehmen weder Männer und LGBTQI wahr, die in der Prostitution arbeiten noch die Tatsache, dass sich unter den Zuhälter*innen, Sexkäufer*innen oder Bordellbetreiber*innen durchaus auch Frauen befinden. 

So reduziert auf die Perspektive der Frau als Opfer, werden Frauen, die von sich behaupten, freiwillig in der Prostitution zur arbeiten, aus dem Diskurs ausgegrenzt oder marginalisiert.

Im schlimmsten Fall werden sie als verdrängende Opfer von Traumatisierungen, Suchterkrankungen, Zwang oder psychischen Erkrankungen pathologisiert. Solchermaßen stigmatisiert, wird ihnen die Fähigkeit abgesprochen, für sich selbst Entscheidungen zu treffen und Einschätzungen vorzunehmen.

Damit steht das Nordische Modell in keinem Zusammenhang mehr mit den Interessen derer, die es eigentlich zu schützen und zu stärken vorgibt. Es verfolgt vielmehr ausschließlich den ideologisch gefärbten Zweck, eine von außen als „gesellschaftlichen Skandal“ definierte Arbeit zu verbieten. 

Die These, dass es beim Nordischen Modell mehr um gesellschaftliche Symbolpolitik geht als um die Neuausrichtung und Nachsteuerung des Hilfesystems für Menschen in der Prostitution, bestätigt eine Dokumentation des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus dem Dezember 2019[9]. Unter der Überschrift „Auswirkungen des „Nordischen Modells“ Studienergebnisse zur Prostitutionspolitik in Schweden und Norwegen“ hat der WD die bestehende Studienlage in Europa analysiert und kommt daraufhin zu dem Ergebnis, dass viele der vorliegenden Studien im besten Fall aufgrund der fehlenden Datenlage wenig aussagekräftig seien.

Im schlimmsten Fall seien sie in ihren Aussagen wissenschaftlich wenig belastbar, weil die zum Teil behaupteten monokausalen Zusammenhänge auch andere Ursachen haben könnten, die aber nicht Gegenstand der Forschung waren[10].

Aber nicht nur theoretische Überlegungen sprechen gegen das Nordische Modell, sondern auch die Wirklichkeit belegt die fehlende Wirksamkeit. 

In Island wurde – trotz Nordischem Modell – in einem im Oktober 2017 veröffentlichten Lagebild eine deutliche Zunahme des Prostitutionsgeschehens in den letzten Jahren festgestellt: „There is no question that there has been an “explosion” in prostitution in Iceland over the past 18 months, according to the report. There has been a significant increase in organized prostitution since 2015, and has to some extent followed the rapid growth in the tourism sector. Street prostitution is almost unknown in Iceland, but an active prostitution market can be found in closed groups on social media forums. In the past couple of years the police has seen a significant increase in advertisements aimed at Iceland on social media websites and known foreign prostitution websites. The vast majority of the women who work as prostitutes in Iceland are foreign visitors who come to the country as tourists, although there are some examples of local women offering their service. As an example, during the summer of 2017, most of the women were from Hungary or Romania. The police believes that prostitution in Iceland is partially tied to crime syndicates and human trafficking, and many of the foreign women who are sent to Iceland have been forced into prostitution.“[11]

Auch dieses Beispiel zeigt, dass unter den Bedingungen des Nordischen Modells Menschenhandel zum Zwecke der sexuellen Ausbeutung ebenso wenig verschwinden wird wie Prostitution insgesamt. Auf diese Erkenntnis kann man mit einem Verzicht auf das Nordische Modell reagieren oder mit einer weiteren Eskalation und Verschärfung, wie sie gerade Schweden erwogen wird, wo nun auch die Inhaftierung von Freiern, die in Schweden oder im Ausland sexuelle Dienstleistungen genutzt haben, debattiert wird. 

Entscheidet man sich für die Einführung des Nordischen Modells, verlangt das zwingend nach verstärkter Kontrolle, d.h. die Kapazitäten der Polizei und der Ordnungsbehörden müssten weit über das, was jetzt bereits das ProstSchG erfordert, erhöht werden, um Kontrollen sowohl auf der Straße als auch in Wohnungen, Hotels oder gar im Internet durchzuführen. Kurz: Ein Sexkaufverbot, das mit dem Schutz der Opfer begründet wird und dann mangels Ressourcen nicht durchgesetzt werden kann, verhöhnt die tatsächlichen Opfer. Denn, wie oben aufgeführt, sind Delikte rund um Menschenhandel vornehmlich Kontrolldelikte. 

Wenn das Prostitutionsverbot während der Corona-Pandemie eines gezeigt hat, dann nur das, was in den vorliegenden Studien zur Einführung des Nordischen Modells als Erfolg bewertet wird: Die sichtbare Straßenprostitution verschwindet, nicht aber die Prostitution insgesamt. 

Dafür sprechen ebenfalls die oben aufgeführten Zahlen des BKA, das bereits nach der Einführung des ProstSchG eine Verlagerung des (illegalen) Prostitutionsgeschehens in Privatwohnungen konstatiert.

Ein dritter Aspekt, der hier erwähnt werden soll und der gegen die Einführung des Nordischen Modells spricht, ergibt sich aus der praktischen Arbeit mit Prostituierten. 

Einrichtungen und Dienste der Prostituiertenhilfe begleiten Sexarbeiter*innen akzeptierend in ihrer Lebenswelt. Sie lassen ihnen ihre eigene Sicht auf ihre Welt und ihre Lebenswirklichkeit, etikettieren nicht und nehmen keine andere Wahrheit, als die, die von den Betroffenen selbst formuliert und vertreten wird. Diese akzeptierende, niedrigschwellige und nicht sanktionierende Arbeit hat sich bewährt, weil Sexarbeiter*innen Vertrauen aufbauen, das Hilfesystem kennen und wissen, wo und wie sie bei gesundheitlichen, psychosozialen oder sonstigen Fragen Unterstützung erhalten. 

Unter den Bedingungen des ProstSchG ist es in NRW gelungen, mit der gemeinsamen Zuständigkeit von Gesundheits- und Ordnungsämtern für die Anmeldung der Prostituierten, diese niedrigschwellige und akzeptierende Haltung und Arbeitsweise zu bewahren und mit den Beratungsstellen weiterhin in Kooperationen umzusetzen. 

Vor diesem Hintergrund würde die Einführung des Nordischen Modells weit hinter die in NRW und anderen Teilen Deutschlands bestehenden Hilfestandards zurückfallen.

Auch wenn die Erfolge des Nordischen Modells in Studien nicht eindeutig belegt sind, so sind die Aussagen zu den negativen Auswirkungen einhellig: Prostituierte zeigen selbst gewaltsame Übergriffe und Vergewaltigungen nicht an, weil sie unter dem gesellschaftlichen Stigma leiden und gegebenenfalls mit Sanktionen wie z.B. dem Verlust der Wohnung, der Herausnahme von Kindern oder aufenthaltsrechtlichen Problemen rechnen. 

 

5.         Fazit

Die Einführung eines Sexkaufverbotes verhindert weder Zwangsprostitution noch Menschenhandel. 

Prostitution verschwindet bestenfalls aus der Öffentlichkeit, nicht aber aus der Welt. Bei einer weiteren Verdrängung ins Dunkelfeld werden Prostituierte für die aufsuchende Arbeit nicht mehr zu erreichen sein und den Kontakt zu Beratungsstellen und Hilfseinrichtungen vermeiden, weil sie diese als Teil des staatlichen Kontrollapparates adressieren. 

Sie sind durch Freier*innen erpressbar und Gewalt und Missbrauch ausgeliefert, weil sie bei einer Anzeige zugeben müssten, als Prostituierte gearbeitet zu haben. Selbst wenn sie selbst sich nicht strafbar machen, bleibt die Hürde, zugeben zu müssen, in einem gesellschaftlich stigmatisieren und sanktionierten Feld zu arbeiten. 

Wenn es Prostitution per Definition nicht mehr gibt, weil ein Sexkaufverbot verhängt wurde, könnten die Grundlagen für psychosoziale, rechtliche oder gesundheitliche Prophylaxe, Beratung und Hilfe entfallen. Natürlich wäre auch der Präventionsgedanke, der bei der Einführung der gesundheitlichen Pflichtberatung und Anmeldepflicht nach ProstSchG handlungsleitend war, hinfällig, da das ProstSchG selbst auch nicht mehr gelten würde. 

In der Konsequenz bedeutet das die Aufgabe jeden Schutzgedankens für Sexarbeiter*innen, gleichgültig, ob sie freiwillig oder unter Zwang in der Prostitution arbeiten und eine gesundheitliche Gefährdung von Prostituierten, Freier*innen und deren Partner*innen. 

Daher trägt die immer wieder in Rede gebrachte Verknüpfung von Freierbestrafung und Ausbau des Hilfesystems nicht. Dieses dann ausgebaute Hilfesystem hätte keinen Zugang zu den Prostituierten mehr, weil es bestenfalls auf den Ausstieg ausgerichtet ist und nicht darauf, Sexarbeiter*innen, die (noch) nicht aussteigen wollen, in ihrer Lebenswirklichkeit zu unterstützen und zu stärken. 

Gerade schutzbedürftige – körperlich, seelisch erkrankte und/oder suchtkranke Prostituierte, Menschen, die kaum die Sprache sprechen und sich mit behördlichen Anforderungen nicht auskennen – würden durch ein Sexkaufverbot zusätzlich belastet und keineswegs für Hilfen erreicht. 

Viel wichtiger als die Einführung der Freierbestrafung wären: 

  • Armutsbekämpfung in Deutschland und in den Herkunftsländern
  • Schaffung von (existenzsichernder) Beschäftigung auch für Menschen mit geringen Qualifikationen
  • Veränderungen im Bleiberecht insbesondere für Opfer von Menschenhandel
  • Zugang zur sozialen Absicherung von Armutsprostituierten aus der EU auch wenn sie (noch) nicht anspruchsberechtigt sind oder ihren Anspruch nicht nachweisen können 
  • Ausbau von niedrigschwelliger Beratung und aufsuchender Arbeit und die verlässliche Finanzierung solcher Angebote 
  •  Ausbau der Unterstützung durch Sprach- und Kulturmittler*innen in Einrichtungen der Prostituiertenhilfe, um Menschen in der Prostitution zu erreichen, die die Sprache kaum beherrschen und wegen fehlendem Wissen keinen Zugang zum Hilfesystem finden 
  • Qualifizierungs- und Beschäftigungsangebote, bei denen Frauen und Männer, die aus der Prostitution aussteigen wollen, nicht nach den Lücken im Lebenslauf gefragt werden
  • eine veränderte Drogenpolitik, die weniger den Anforderungen des Betäubungsmittelgesetzes, den Vorschriften von Krankenkassen und Rentenversicherungsträgern folgt als vielmehr den individuellen Notlagen

Schon jetzt hat sich ein großer Teil des Prostitutionsgeschehens ins Internet verlagert. Dort findet die Anbahnung statt, aber auch schon heute ein großer Teil der Prostitution selbst.

Pornographie und Prostitution werden weiter nachgefragt, angeboten und gehandelt, es werden sich unter Umständen nur die Wege verändern. Die Fragen nach Macht, Moral, Integrität und Würde, werden, anders als es die Gegner der Prostitution annehmen, dadurch nicht gelöst.

 

Prostituiertenhilfe des SkF e.V. Köln 

Der SkF e.V. engagiert sich seit der Gründung des Vereins 1899 in der Prostituiertenhilfe. 

Von besonderer Bedeutung für die Prostituiertenhilfe des SkF e.V. Köln sind nach wie vor die Angebote für besonders vulnerable Gruppen von Prostituierten, die z.B. bis zum Corona-bedingten Prostitutionsverbot auf dem betreuten Straßenstrich an der Geestemünder Straße gearbeitet haben.

Das Gelände an der Geestemünder Straße, das als Kooperationsangebot von SkF e.V. Köln, Ordnungsamt, Gesundheitsamt und Polizei bei seiner Eröffnung 2001 Modellcharakter hatte und seither in Deutschland und im europäischen Ausland mehrfach umgesetzt wurde, bietet deutschen und ausländischen Frauen die Möglichkeit, der Prostitution geschützt nachzugehen und jederzeit auf Hilfe zugreifen zu können. 

Zudem arbeiten die Mitarbeiter*innen und Mitarbeiter der 2014 eröffneten Beratungsstelle für Sexarbeiter*innen Rahab aufsuchend auf dem Straßenstrich rund um das Industrie- und Gewerbegebiet Eifeltor und am Kölnberg in Meschenich.

Auf dem Eigelstein und in den Seitenstraßen rund um den Eigelstein, in denen traditionell Kneipenprostitution stattfindet, arbeitet Rahab ebenfalls aufsuchend und erreicht dort vornehmlich bulgarische Frauen.

Darüber hinaus werden regelmäßig Clubs und Bordelle besucht, um einen Kontakt zu den dort arbeitenden Frauen herzustellen und sie über das Hilfesystem in Köln zu informieren.

Informationsmaterial in verschiedenen Sprachen mit den Kontaktdaten und einigen einfach formulierten Schlagworten sichert den Zugang zu den Frauen, die der deutschen Sprache nicht oder nur unzureichend mächtig sind. 

Ergänzend zur aufsuchenden Arbeit bietet Rahab eine regelmäßige offene Sprechstunde sowie eine längerfristige Begleitung während der Arbeit in der Prostitution und erste Hilfen beim Ausstieg. 

Darüber hinaus gibt das Angebot zur beruflichen Neuorientierung von Rahab+, das seit Spätsommer 2020 gemeinsam mit dem Jobcenter und der Stadt Köln durchgeführt wird. 

Hier erhalten ausstiegswillige Prostituierte durch eine rechtskreisübergreifende Zusammenarbeit Zugang zu allen Hilfen, die für einen Berufs- und Arbeitswechsel notwendig und möglich sind.

Die Prostituiertenhilfe des SkF e.V. „teilt mit den Prostituierten ihre Lebenswelt“ und arbeitet bei der Begleitung in der Prostitution und bei der Initiierung von Ausstiegsprozessen nicht isoliert, sondern in der internen und externen Vernetzung mit anderen Diensten und Einrichtungen. 

Angebote sind:

  • Sozialarbeiterische und psychosoziale Hilfen zur Stabilisierung von Sexarbeiter*innen ohne Ausstiegserwartung. Dabei kann es sich um die Vermittlung in die Schuldnerberatung, in die Familienhilfe bei belasteten Familiensituationen, das Gewaltschutzzentrum, in die Wohnungslosenhilfe oder die Unterstützung bei der Klärung ausländer- oder steuerrechtlicher Fragen handeln.
  • Akzeptierende Begleitung der Sexarbeiter*innen in ihrem Alltag und ihrer Lebenswirklichkeit 
  • Krisenintervention und Notversorgung z.B. durch Lebensmittelpakete, Aufladen von Handyguthaben auch unabhängig von dem Corona-bedingten aktuellen Prostitutionsverbot
  • Motivation bei der Ausstiegsentscheidung und längerfristige Begleitung des Ausstiegs z.B. durch die Klärung der finanziellen Situation, die Weitervermittlung in die notwendigen Hilfen z.B. das Clearingwohnen für suchtkranke Schwangere und Mütter, die Vermittlung in die Substitution oder in Therapie. 

Prostituierte, die sich als Opfer von Menschenhandel und Zwangsprostitution zu erkennen geben, begleitet Rahab in Abstimmung mit den Ermittlungsbehörden durch die anstehenden Verfahren und sichert gemeinsam mit diesen z.B. die sichere Unterbringung. 

 
[1] Vgl. Bundesamt für Statistik unter: https://www.destatis.de/DE/Themen/Gesellschaft-Umwelt/Soziales/Prostituiertenschutz/Tabellen/prostitutionstaetigkeit2019.html
[2] Vgl. Pressemitteilung des Bundesamtes für Statistik unter: https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/07/PD20_286_228.html
[3] Vgl. : https://www.destatis.de/DE/Presse/Pressemitteilungen/2020/07/PD20_286_228.html
[4] Vgl. Bundeskriminalamt: Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2019
[5] Vgl. Bundeskriminalamt: Bundeslagebild Menschenhandel und Ausbeutung 2019
[6] Ebenda
[7] Ebenda 
[8] Ebenda
[9] Auswirkungen des „Nordischen Modells“ Studienergebnisse zur Prostitutionspolitik in Schweden und Norwegenergebnisse zur Prostitutionspolitik in Schweden und Norwegen Aktenzeichen: WD 9 - 3000 - 082/19
[10] Vgl. ebenda
[11] Vgl. https://icelandmonitor.mbl.is/news/politics_and_society/2017/10/26/organized_crime_and_prostitution_on_the_rise_in_ice/